Donnerstag, 20. Oktober 2016

Kriminell

Stell Dir vor, Du arbeitest jahrelang am Hauptsitz der Post in der Schönburg, und weisst nicht, dass gleich nebenan der Tatort eines schlimmen Verbrechens ist.... Nun, nicht wirklich ein Verbrechen, das behauptet nur Alexander Heimann in seinem Krimi "Bellevue". Und in eben jener Siedlung nicht weit vom Salem-Spital startet jeweils der Rundgang durch die Stadt Bern unter dem Slogan "Bern kriminell - wo Worte morden".

Unser Stadtführer mit Namen Schibli (Pesche wenn ich mich nicht irre) führte uns also zuallererst auf den zentralen Spielplatz in eben jener Siedlung mit der "bellen vue". Er erklärte wie praktisch die grossen Fenster und Balkone für die Mütter seien, die so recht einfach immer ein Auge auf die Jungmannschaft haben könnten. Insgeheim fragte ich mich, was denn eine Mutter genau machen kann, wenn der Junior sich im Tempo eines gehetzten Affen aus dem Staub machen will - aber sei's drum, manchmal zählt auch nur schon die gute Absicht.
Mitten in diese Erklärungen mischte sich plötzlich eine - zugegeben nicht ganz unauffällige - junge Dame, auf dem Kopf der Hut eines Kriminalermittlers und verhüllt durch einen Mantel der jedem Detektiv gut gestanden wäre, in der Hand ein Buch und im Gesicht der aufgesetzte Blick einer ängstlich-kritischen Person: ja, man müsse wissen, so idyllisch sei das überhaupt nicht, dieses Quartier, der Spielplatz alles andere als friedlich - sogar ein Mord sei hier passiert. Plötzlich wäre ein 6-jähriger Knabe tot gewesen, erschossen mit 4 Schüssen, vermutlich aus einem Gewehr.
Das alles fand natürlich nur im Kopf eines Anwohners statt, eben jenes Alexander Heimann, und von diesem Kopf fand die Geschichte dann ihren Weg zu Papier und kann nun nachgelesen werden. Als Krönung meldete sich der bereits vor Jahren verstorbene Schriftsteller zu Wort, nicht als Geist sondern ab iPhone in einem Interview aus dem Jahr 2000. Es gäbe hier durchaus Kinderhasser und wenn man so auf den Spielplatz schaue, dann wirke der gerade sehr friedlich (stimmte: da war nur eine Mutter mit zwei Kindern). Aber an einem schönen Maitag wäre das ganz anders, laut und zwar bis in die Nacht. Und wenn man sich so umschaue, falle einem dann jene Person auf die nicht hierher gehört (stimmte) oder die seltsame Gruppe von Leuten (stimmte auch, nämlich wir) und würde jetzt in den nächsten 24 Stunden hier ein Verbrechen geschehen, dann wären diese alle verdächtig und sicher die Hälfte von ihnen schon bald verhaftet.

So ging es dann weiter, Rosengarten, Bärengraben, Gerechtigkeitsgasse 44, Zytglogge, Polizeikaserne. Im Rosengarten war die kurlige Person schon wieder anzutreffen und sie vermieste unserem Führer das Anpreisen der herrlichen Aussicht auf die Altstadt von Bern: sie sähe Tatorte, überall wären Orte schrecklicher Verbrechen zu sehen. Man wurde sich nicht einig und wir waren schon fast erleichtert, als die nervige Person von dannen zog und beim Bärengraben nicht mehr auftauchte.
Dort lag gemäss Marijke Schnyder irgendwann mal ein Mann erschossen im Bäregrabe, gemäss Polizei ein glasklarer Fall von Suizid auf der Brüstung mit anschliessend tiefem Fall (soweit das überhaupt noch möglich ist für eine Person mit Selbstmordabsichten). Passiert war aber alles ganz anders, die Waffe hätte der Selbstverteidigung dienen sollen, landete dann aber an der falschen Schläfe - der Täter war offensichtlich stärker als das Opfer.

An der Gerechtigkeitsgasse 44 wartete dann der Wachtmeister Studer auf uns. Er ermittelte in einem Fall von zwei zusammenhängenden Morden, einer in Bern und einer in Basel. Zwei Schwestern, mit dem gleichen Mann liiert, nicht gleichzeitig und eine von ihm geschieden und die andere nicht mehr mit ihm zusammen - weil jener besagte Mann war auch schon tot, verstorben in Marokko und dies wie sich später herausstellte unter mysteriösen Umständen. Der Fall umfasste ergo drei Tote.... die interessanteste Rolle hatte aber Frau Tschumi inne. Eine unzuverlässige Zeugin, wohnhaft an der Gerechtigkeitsgasse 44, Engländerin und darum mit einem unsäglichen Akkzent ausgestattet, Ballettlehrerin - und im echten Leben während sieben Jahren liiert mit Friedrich Glauser. Danach "charmant" verewigt im Buch von Friedrich Glauser.....

Am Zytglogge beschwerte sich dann eine Touristin aus Genf darüber, dass diese Touristenattraktion keinen Ton von sich gab - rien ne vas plus! Damit störte sie natürlich einmal mehr unsere Stadtführung, aber immerhin konnte uns Paul Lascaux weiterhelfen. Er beschreibt nämlich im Buch Un-Zyt-Glogge dass das ganze Uhrwerk von einer männlichen Leiche mit Mistgabel im Rücken blockiert war. Dieser war seines Zeichens Wirt in einem nahegelegenen Restaurant. Und als der Wirt das Uhrwerk nicht mehr blockierte, setzte Hans von Thann prompt wieder zum Glockenschlag an - und schubste dabei den Koch desselben Restaurants vom Turm in den Tod. Mehr war leider nicht zu erfahren, ausser dass die zwei offenbar ein Paar waren - der Rest steht dann eben im Buch.

Den Abschluss fand der Rundgang dann vor der Polizeikaserne. Diese Story ist mir nicht mehr geläufig, ich weiss nur noch es ging um eine Verfolgungsjagd, vorne ein Velo mit neuartigem Antrieb, hinten ein potentieller Mörder auf einem Motorrad. Letzterer landete im Oppenheimer-Brunnen und der Velofahrer in der Polizeikaserne auf einem Polizisten (weil ein Schuss die Hydraulikleitung des Velo beschädigt hatte und das Velo somit vermindert bremsfähig war). Es war ein versöhnlicher Abschluss mit der kurligen Dame und beide erhielten kurzen, aber intensiven Applaus - der einsetzende Regen trieb uns weiter in Richtung Le Mazot wo ein feines Fondue auf uns wartete.

PS: neben all den fiktiven Verbrechen haben wir auch noch einige harte Fakten über die Stadt Bern mitbekommen: der einzige Hafen von Bern beispielsweise (Ländtetor); wie viel die Nydeggbrücke gekostet hat, warum es dort Zollhäuschen hat und wer warum die Mehrkosten des Baus schlussendlich übernehmen musste; warum in der Gerechtigkeitsgasse unten die Keller auf Strassenhöhe angesiedelt sind, während in der Junkerngasse die Lauben regelrecht absaufen; wo Gericht abgehalten wurde und warum die Richter danach besoffen zur Beichte gingen. Wen's interessiert, der kann mich ja mal fragen..